Die Vollmacht des Handlungsbevollmächtigten (Handlungsvollmacht i.e.S.) charakterisiert sich durch folgendes:
- Begriff
- Gesetzliche Grundlage
- Abgrenzung
- Bedeutung
- Rechtsnatur
- Ziele
- Motive
- Funktion / Hierarchie
- Vollmachtsumfang
- Beschränkungen
- Subjekt des Prinzipals
- Subjekt des Handlungsbevollmächtigten
- Entstehung
- Ausübung / Zeichnung
- Konkurrenzverbot
- Untergang der Handlungsvollmacht
- Tod und Handlungsunfähigkeit
- Haftung für deliktisches Handeln
Begriff
- Die Handlungsvollmacht berechtigt zu allen Rechtshandlungen, die der Betrieb des Gewerbes oder die Ausführung eines bestimmten Geschäftes in diesem Gewerbe gewöhnlich mit sich bringt
- Die Handlungsvollmacht wird unvollständigerweise oft nur als „Zeichnungsberechtigung“ bezeichnet, obwohl damit nicht nur Abschluss von Verträgen, sondern auch Rechtshandlungen und die Entgegennahme der Erklärungen Dritter möglich ist
Gesetzliche Grundlage
Art. 462 OR
B. Andere Handlungsvollmachten
1 Wenn der Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes jemanden ohne Erteilung der Prokura, sei es zum Betriebe des ganzen Gewerbes, sei es zu bestimmten Geschäften in seinem Gewerbe als Vertreter bestellt, so erstreckt sich die Vollmacht auf alle Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.
2 Jedoch ist der Handlungsbevollmächtigte zum Eingehen von Wechselverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozessführung nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis ausdrücklich erteilt worden ist.
Art. 464 OR
D. Konkurrenzverbot
1 Der Prokurist, sowie der Handlungsbevollmächtigte, der zum Betrieb des ganzen Gewerbes bestellt ist oder in einem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Gewerbes steht, darf ohne Einwilligung des Geschäftsherrn weder für eigene Rechnung noch für Rechnung eines Dritten Geschäfte machen, die zu den Geschäftszweigen des Geschäftsherrn gehören.*
2 Bei Übertretung dieser Vorschrift kann der Geschäftsherr Ersatz des verursachten Schadens fordern und die betreffenden Geschäfte auf eigene Rechnung übernehmen.
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* Fassung gemäss Ziff. II Art. 1 Ziff. 10 des BG vom 25. Juni 1971, in Kraft seit 1. Jan. 1972 (AS 1971 1465; BBl 1967 II 241). Siehe auch die Schl- und UeB des X. Tit.
Art. 465 OR
E. Erlöschen der Prokura und der andern Handlungsvollmachten
1 Die Prokura und die Handlungsvollmacht sind jederzeit widerruflich, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag od. dgl. ergeben können.*
2 Der Tod des Geschäftsherrn oder der Eintritt seiner Handlungsunfähigkeit hat das Erlöschen der Prokura oder Handlungsvollmacht nicht zur Folge.
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* Fassung gemäss Ziff. II Art. 1 Ziff. 11 des BG vom 25. Juni 1971, in Kraft seit 1. Jan. 1972 (AS 1971 1465; BBl 1967 II 241). Siehe auch die Schl- und UeB des X. Tit.
Abgrenzung
- Abgrenzung von der Prokura, die weiter geht, d.h.
- Vertretung auf Stufe des Unternehmens und nicht bloss wie Handlungsvollmacht auf Stufe Betrieb oder eines bestimmten Rechtsgeschäftes
- Generelle Vertretung und nicht bloss wie die Handlungsvollmacht für Angelegenheiten, die der Betrieb gewöhnlich mit sich bringt
Bedeutung
- Ordentlich verbreitet, v.a. durch stillschweigende oder konkludente Ermächtigung des Geschäftsherrn, im Geschäftsverkehr das Unternehmen gegenüber zB Lieferanten oder Kunden zu vertreten und bestimmte Arten von Rechtsgeschäften zu schliessen
Rechtsnatur
- Gesetzlich fixierte Vertretungsmacht
Ziele
- Erleichterung und Absicherung des Rechtsverkehrs
- Vertretungsmöglichkeit für die Rechtshandlungen im einfachen daily business
- Auffangtatbestand für Personalhandlungen ohne nähere Autorisierung
- Handlungsvollmacht ist im Gegensatz zur Prokura intransparent
Motive
- Schaffung eines Zwischenbaus zwischen dem nicht vertretungsberechtigten Arbeitnehmer und dem im Handelsregister eingetragenen Prokuristen
Funktion / Hierarchie
- Unterste Stufe im Führungsstufenbau
Vollmachtsumfang
- Grundsätze
- Generalhandlungsvollmacht
- Ermächtigung zum Betrieb des ganzen Unternehmens
- Spezialhandlungsvollmacht
- Ermächtigung zum Abschluss bestimmter Arten von Geschäften
- Das Kriterium von „Gewöhnlichkeit“ („… was ein Gewerbe … „gewöhnlich“ mit sich bringt …“) bezieht sich nicht Alltäglichkeit, sondern dient der Abgrenzung von „Ungewöhnlichkeit“, Aussergewöhnlichkeit“ (vgl. hiezu BGE 76 I 353)
- entscheidend sind Branche und Betrieb
- Beurteilung im konkreten Einzelfall erforderlich
- Generalhandlungsvollmacht
- Individualisierungen der Vertretungsmacht / Kasuistik
- Einkäufer
- Bestellung von Waren
- Vgl. BGE 106 V 18, wo offen gelassen wurde, ob die Entgegennahme von Zahlungen zu den gewöhnlichen Aufgaben eines Einkaufs-Handlungsbevollmächtigten zählt
- Ladenverkäufer
- Verkäufe, die in einem Ladengeschäft gewöhnlich geschehen
- Vgl. auch BGE 120 II 205, wo die Bestellung einer Ladeneinrichtung für ein Sportgeschäft als ausserhalb des gewöhnlichen Geschäftsganges beurteilt wurde
- Hotelsekretär
- Abschluss und Abwicklung von Beherbergungsverträgen und alle damit verbundenen Angelegenheiten wie Entgegennahme von Zahlungen, Nachsendung liegen gebliebener Gästegegenstände uam
- Vgl. BGE 33 II 424 f.
- Generalbevollmächtigter eine Immobilienbank
- Eingehung einer Bürgschaftsverpflichtung ist durch Vollmachtszweck gedeckt
- Vgl. BGE 81 II 63
- Unternehmensjuristen (Handlungsbevollmächtigte) als Prozessvertreter des Arbeitgebers
- Nicht im Handelsregister eingetragene Handlungsbevollmächtigte gemäss OR 462 Abs. 2 können zur Prozessführung ermächtigt werden, ohne unter das Anwaltsmonopol zu fallen
- Mangels Handelsregistereintrags haben sie sich mit Individual-Vollmacht als Vertreter der Prozesspartei zu legitimieren; haben sie den Legitimationsnachweis unterlassen, hat das Gericht eine Nachfrist anzusetzen (ZPO 132 Abs. 1)
- Vgl. BGE 4D_2/2013 vom 01.05.2013
- Siehe ferner: Prozessvertretung durch Unternehmensjuristen als Handlungsbevollmächtigte
- Einkäufer
Beschränkungen
- Gesetzliche Ausnahmen
- Nur mit Spezialvollmacht des Geschäftsherrn sind zulässig (OR 462 Abs. 2)
- Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, und zwar als
- Aussteller
- Akzeptant
- Garantieschuldner
- Indossant
- Wechselbürge
- Darlehensaufnahme
- Prozessführung
- Klage
- Prozessabwehr
- Strafantrag wegen Ehrverletzung (BGE 99 IV 1 ff.; für Strafanzeigen gilt die Beschränkung nicht, da der Strafkläger (Staatsanwalt) das Strafverfahren einleitet (vgl. BGE 73 IV 68 ff.))
- Von der Beschränkung ausgenommen sind:
- Schiedsabrede
- Gerichtsstandsvereinbarung (vgl. BGE 76 I 353 f.)
- Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, und zwar als
- Nur mit Spezialvollmacht des Geschäftsherrn sind zulässig (OR 462 Abs. 2)
- Vertretungsausschluss der Gerichtspraxis
- Selbstkontrahieren
- Doppelvertretung
- Gewillkürte Beschränkungen
- Die Vertretungsbefugnis lässt sich zwischen Prinzipal und Handlungsbevollmächtigten lässt sich intern beschränken
- subjektiv
- Kollektivhandlungsvollmacht (Zeichnung mit einer weiteren Person)
- sachlich
- Vertretungsbefugnis nur für bestimmte Arten von Rechtsgeschäften (zB Mietverträge, aber keine Kaufverträge)
- örtlich
- Filialhandlungsvollmacht (Beschränkung auf eine Niederlassung)
- betraglich
- Beschränkung der Handlungsvollmacht zum Abschluss von Rechtsgeschäften bis zu einem bestimmten Interessenwert
- subjektiv
- Die Aussenwirkung solchen Vertretungsbefugnis-Beschränkungen treten nur ein, wenn der Dritte die Beschränkung kennt (Mitteilung) oder kennen sollte
- Die Vertretungsbefugnis lässt sich zwischen Prinzipal und Handlungsbevollmächtigten lässt sich intern beschränken
Subjekt des Prinzipals
- Prinzipal und Handlungsbevollmächtigte müssen verschiedene Personen sein (keiner kann sich selbst zum Vertreter bestellen)
- Denkbare Prinzipale
- Einzelfirma
- Kollektivgesellschaft (KollG)
- Kommanditgesellschaft (KommG)
- Aktiengesellschaft (AG)
- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
- Genossenschaft (Gen)
- Denkbare Prinzipale
- Keine Regel ohne Ausnahme
- Stiller Gesellschafter
- Stiller Gesellschafter kann als Handlungsbevollmächtigter des nach aussen in Erscheinung tretenden Hauptgesellschafters fungieren
- Kommanditär mit finanziell beherrschender Stellung
- Kommanditär kann trotz seiner Stellung als Geldgeber und nicht operativer Gesellschaft zum Handlungsbevollmächtigten gemacht werden
- Stiller Gesellschafter
Subjekt des Handlungsbevollmächtigten
- Als Handlungsbevollmächtigter ernannt werden können nur natürliche Personen, die urteilsfähig sind (ein Teil der Lehre verlangt gar Handlungsfähigkeit)
Entstehung
- Begründung
- Betriebliche Voraussetzung
- Kaufmännisches Unternehmen als Voraussetzung für eine Handlungsvollmacht
- Zulässigkeit der Handlungsvollmacht in nichtkaufmännischen Unternehmen ist in der Lehre umstritten
- Kaufmännisches Unternehmen als Voraussetzung für eine Handlungsvollmacht
- Grundgeschäft
- Ausdrückliche Ermächtigung im Arbeitsvertrag oder durch separate Postulierung als Anlassgeschäft
- Form
- Die Handlungsvollmachts-Erteilung ist formfrei, auch stillschweigend, möglich (vgl. BGE 94 II 117), auch dann, wenn das betroffene Rechtsgeschäft formpflichtig ist (vgl. BGE 81 II 60 ff.)
- Die Form der „bewussten Duldung“ des Auftretens eines Mitarbeiters als Bevollmächtigter gegenüber Dritten (vgl. BGE 76 I 351) ist eine der häufigsten Begründungsarten für die Handlungsvollmacht
- Prinzipal muss sich bei seinem auf eine stillschweigende Vollmachtserteilung hinweisenden Verhalten behaften und das durch seinen Handlungsbevollmächtigten geschlossene Geschäft gegen sich gelten lassen (vgl. BGE 74 II 151 f.)
- Betriebliche Voraussetzung
- Handelsregistereintrag?
- Die Handlungsvollmacht ist nicht im Handelsregister eintragungsfähig
- Wichtigere Bedeutung des Vertrauensprinzips mangels Eintragungsmöglichkeit
Ausübung / Zeichnung
- Der Handlungsbevollmächtigte zeichnet in der Regel mit dem Zusatz „i.V.“ (= in Vertretung), „i.A.“ oder „per“ (vor seinem Namen bzw. vor seiner Unterschrift
- Das Setzen des „Handlungsbevollmächtigten-Hinweises“ ist reine Ordnungsvorschrift und kein Gültigkeitserfordernis; der Prinzipal wird gleichwohl verpflichtet
Konkurrenzverbot
- Der Handlungsbevollmächtigte „für den ganzen Betrieb“ oder im Arbeitsverhältnis darf weder in eigenem Namen noch im Namen eines Dritten Geschäfte tätigen
- Im Verletzungsfalle hat der Prinzipal Anspruch auf Schadenersatz oder das Recht zur Selbstübernahme
- Handlungsvollmachtskonkurrenzverbot
- Vgl. OR 464
Untergang der Handlungsvollmacht
- Es gelten – abgesehen von den registerrechtlichen Themen – die gleichen Regeln für das Erlöschen der Prokura
- Widerruf der Handlungsvollmacht und – zur Vermeidung des Gutglaubensschutzes – Mitteilung an die Geschäftspartner, mit denen der Handlungsbevollmächtigte namens und auftrags des Vollmachtgebers Geschäfte tätigte
Tod und Handlungsunfähigkeit
- Der Tod und die Handlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers sind keine Erlöschensgründe für eine Handlungsvollmacht (vgl. OR 465 Abs. 2, anders als OR 35 Abs. 1).
Haftung für deliktisches Handeln
- Haftung des Unternehmens auch für unerlaubte Handlungen des Handlungsbevollmächtigten bei der Ausübung seiner geschäftlichen Tätigkeit